Vom Sterben und Trauern in Einsamkeit
Trauerbegleiterin Kirsti Gräf berichtet über die Herausforderungen der Trauerarbeit in Zeiten der Corona-Pandemie. Aber auch über Wege diese Herausforderungen zu meistern.
Am 18. April 2021 wurde in ganz Deutschland der Corona-Verstorbenen gedacht. Knapp 80.000 Menschen sind dem Virus zum Opfer gefallen – mehr als 120 in der Stadt Magdeburg. Unter ihnen viele, die einsam in Kliniken und Pflegeeinrichtungen gestorben sind, da Besuchsverbote nötig waren.
Zurück bleiben Familien und Angehörige, Freunde und Bekannte, Arbeitskollegen, die diese Lücke kaum begreifen können, weil ihnen die letzten Minuten am Sterbebett fehlen. Oftmals bleiben quälende Fragen: Habe ich alles getan? Was hat der geliebte Mensch in den letzten Stunden gefühlt und gedacht? Pflegekräfte und Ärzte als Sprachrohr zwischen Erkrankten und Angehörigen – am Limit des Machbaren und kaum gefragt, wie sie diese Herausforderungen meistern.
Verstirbt ein Mensch an COVID-19 auf einer Intensivstation, ist das für Angehörige oft befremdlich – Abschiednehmen kaum möglich. Hinzukommt, dass viele Angehörige gar nicht darauf vorbereitet sind, dass sie ihren Angehörigen nie wiedersehen.
Immer wieder hört Kirsti Gräf, Leiterin des Trauerinstitutes der Pfeifferschen Stiftungen von Betroffenen diese Aussage: „Eigentlich ist er doch nur wegen einer Kleinigkeit in die Klinik gekommen, noch nicht einmal richtig verabschiedet habe man sich voneinander. An Corona hat doch keiner gedacht. Über Stunden gewartet, dass er wiederkommt. Wenige Tage später war er tot, gestorben an Corona. Unbegreiflich bis heute.“ Fragen über Fragen, die sich wie ein Karussell im Kopf drehen.
Wichtige Rituale in der Trauer sind durch Corona nur eingeschränkt möglich. Trauerfeiern nur im engsten Freundes- und Familienkreis, das Kaffeetrinken oder Beisammensein danach, unmöglich. „Dabei sind diese Dinge so wichtig, so sinnstiftend“, weiß Trauerbegleiterin Kirsti Gräf.
Selbst die herzliche Umarmung zwischen Hinterbliebenen ist mit einem Fragezeichen versetzt. Darf man das jetzt überhaupt? Menschen, die in einer Krise ihres Lebens die Nähe anderer bräuchten, entfremden sich, manche vereinsamen sogar.
„Besonders schlimm ist die Pandemie für Menschen, die in diesen Zeiten einsam sterben müssen, für ihre Angehörigen und für alle, die ihnen hätten nahe sein wollen. Oft blieben nur das Telefon oder der Video-Chat, wo eigentlich einer hätte dem anderen die Hand halten und Beistand leisten wollen. Trauerfeiern sind immer noch nur im kleinen Kreis möglich. Inzwischen wurden unter Pandemie-Bedingungen Wege gefunden für konkreten Beistand, Seelsorge am Bett und Trauerbegleitung, aber der Schmerz bleibt“, sagt Dr. Edda Weise, Vorsteherin Pfeiffersche Stiftungen.
Im Trauerinstitut der Pfeifferschen Stiftungen häufen sich nach einem Jahr der Pandemie die Notrufe von Menschen, die in ihrer Trauer nicht mehr ein und aus wissen, Familien die den Tod eines Angehörigen verkraften müssen und die sich um ihre Kinder sorgen, da selbst die Schule als stabilisierendes System oder Freunde und der Sport als trauerfreie Zeiträume wegfallen oder nur sporadisch stattfinden.
In Einzelgesprächen versucht Kirsti Gräf als erfahrene Trauerbegleiterin und Traumapädagogin jeden Einzelnen aufzufangen. Trauernde in Quarantäne begleitet sie telefonisch durch diese Zeit. Wie sie hoffen viele, dass bald wieder die zahlreichen Gruppenangebote stattfinden können, denn auch der Austausch mit „Gleichgesinnten“ fehlt. Und trotzdem erlebt sie auch, wie manche über sich hinauswachsen und selbst aktiv werden, indem sie sich untereinander zu Spaziergängen verabreden oder ein Trauercafé zu zweit buchen.
Das Trauerinstitut nutzt die Zeit auch, um neue Ideen auf den Weg zu bringen, wie zum Beispiel einen Näh-Workshop für Trauernde, ein Trauerseminar und eine Schreibwerkstatt soll genauso fortgesetzt werden wie die Kinder- und Jugendtrauergruppe.
Gerade die jungen Menschen unserer Gesellschaft haben einen enormen Bedarf, nicht nur, wenn sie unmittelbar vom Sterben in der eigenen Familie oder im Freundeskreis betroffen sind. Die tägliche Konfrontation mit dem Sterben durch Corona macht etwas mit ihnen. Sie sehen täglich die Bilder im Fernsehen von Intensivstationen, übereinandergestapelten Särgen, erleben die Verunsicherung ihrer Eltern durch die Pandemie. Es gibt kaum Orte, an denen sie über diese Eindrücke und ihre Gedanken zum Sterben und zur Trauer lassen können.
Gerade auch hier sehen die Pfeifferschen Stiftungen einen enormen Bedarf. Durch Schulkonzepte wie „Letzte-Hilfe Kids“ und „Endlich“ kann hier die Basis geschaffen werden, die jungen Menschen zu Wort kommen zu lassen und Basiswissen, ähnlich wie bei der Ersten Hilfe vermittelt zu bekommen und in kreativen Übungen sich selbst zu stärken und eine Sprachfähigkeit zu erlernen.
„Denn hier sind wir uns mit dem Bundespräsidenten Herrn Steinmeier sehr einig: Wir werden langfristig als Gesellschaft zusätzliche Probleme bekommen, wenn wir die kollektive Trauer verdrängen. Wir müssen einen Umgang finden, um mit dieser Trauer und dem Schmerz umzugehen“, fasst Kirsti Gräf abschließend zusammen.
Informationen zu den Angeboten für Trauernde finden Sie auf der Webseite des Trauerinstitutes.