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Wenn die Körperpumpe versagt

Bei kaum einer Erkrankung sterben Menschen so unerwartet wie beim Herzinfarkt. Ungekannte, starke Schmerzen in der Brust, Übelkeit, Rückenschmerzen oder Ziehen im Arm: Herzinfarkte rufen unterschiedliche Beschwerden hervor.

"Das Herz schlägt mir bis zum Hals!" Oder: "Mir rutscht das Herz in die Hose." Das sind Redewendungen, die wir alle kennen. Wir tun etwas leichten Herzens oder etwas liegt uns am Herzen, wir verlieren unser Herz oder es bricht uns, und manchmal tragen wir es auf der Zunge. Im Herzen unserer Kultur begegnet man dem Herzen selbst - und stößt auf die Geschichte eines Organs, das seit jeher eine zentrale Rolle im Selbstverständnis des Menschen spielt. Das Herz ist das menschliche Organ, dem die größte symbolische Bedeutung zukommt. Aber die moderne Medizin betrachtet das Herz schlichtweg als "Pumpe", zugegeben eine brillante Pumpe.

Nährstoffe, Hormone, Wasser oder Sauerstoff - all diese Stoffe bewegen sich in unserem Körper über den Blutkreislauf. In Gang gehalten wird er durch das Herz. Innerhalb einer Minute pumpt es das Blut einmal durch unseren gesamten Körper. Rund 6.000 Liter bewegt es so an einem Tag. Ein durchschnittliches Herz hat etwa die Größe einer Faust und wiegt rund 300 Gramm. 70 bis 80 Mal schlägt es im Ruhezustand. Geschützt vor Stößen und Verletzungen, sitzt das Herz etwas links von der Körpermitte direkt hinter dem Brustbein und den Rippen.

Das Herz ist unser wichtigster Muskel. Umso schlimmer ist es für unseren Körper, wenn das Herz krank wird und an Leistungsfähigkeit verliert. Eine Todesfalle: In Deutschland sterben jedes Jahr mehr als 50.000 Menschen am Herzinfarkt. Die meisten in Sachsen-Anhalt, laut Statistik im Schnitt 103 auf 100.000 Einwohner. Experten sehen einen Grund auch in der Hemmschwelle, den Notarzt zu alarmieren.

Bei Beschwerden im Brustkorb und angrenzenden Körperteilen denken nur wenige Menschen an ihr Herz. "Betroffene schieben solche Probleme oft auf andere Organe - und laufen damit Gefahr, einen Herzinfarkt zu ignorieren", sagt Dr. Jochen Molling, Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie im Klinikum in den Pfeifferschen Stiftungen. Der Chefarzt warnt eindringlich davor, eigene Deutungen von Problemen wie Brennen, Schmerzen oder Druck rund um die Brust vorzunehmen.

Je nach Lokalisation des Infarkts im Herzen - zum Beispiel Vorderwand- oder Hinterwandinfarkt -, aber auch in Abhängigkeit vom Geschlecht können die Infarktsymptome variieren. Der oft als typisch beschriebene heftige Brustschmerz mit Ausstrahlung in den Arm kann auch ganz fehlen. Manche Infarkte verursachen nur geringe oder gar keine Krankheitszeichen, Mediziner sprechen dann von "stummen" Infarkten.

Bei Herzinfarkt besteht Lebensgefahr! "Für den Betroffenen tritt er meist überraschend auf, nicht selten in den frühen Morgenstunden", sagt Dr. Molling. Ein Herzinfarkt kann sich aber auch "ankündigen". Verdächtig sind zum Beispiel Schmerzen im Brustkorb, die bei Belastung oder psychischem Stress auftreten und dann wieder verschwinden. Treten solche Beschwerden immer wieder auf, sollte man dies unbedingt mit dem Arzt besprechen. Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen - von den Krankenkassen ab dem 35. Lebensjahr bezahlt - decken auf, ob wir ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, insbesondere einen Herzinfarkt, haben.

Dr. Molling weist auf folgende mögliche Anzeichen eines Herzinfarktes hin:

  • Leitsymptom ist der Brustschmerz, der überwiegend hinter dem Brustbein lokalisiert ist. Oft strahlen die Schmerzen in andere Körperregionen aus - zum Beispiel in die Arme, den Oberbauch, zwischen die Schulterblätter in den Rücken oder in den Hals und den Kiefer.
  • Da die Schmerzen länger anhalten - über 15 Minuten - und bei körperlicher Ruhe auch nicht abklingen, stehen die Patienten oft Todesängste aus. Zusätzlich erleben viele ein Schwächegefühl, kalte Schweißausbrüche, sind blass, haben Herzrhythmusstörungen und leiden an Luftnot.
  • Meist tritt ein Herzinfarkt mit einem heftigen Druck, massivem Engegefühl oder einem sehr starken Einschnürungsgefühl im Herzbereich in Erscheinung. Betroffene beschreiben den Infarktschmerz vielfach als unerträglich, vernichtend oder mit dem Gefühl, die Brust werde von einem Schraubstock eingezwängt.
  • Ein Herzinfarkt kann sich auch allein mit so genannten "unspezifischen Anzeichen" bemerkbar machen, was bei Frauen häufiger vorkommt als bei Männern, auch bei Diabetikern und älteren Menschen. Zu solchen Symptomen zählen Übelkeit, Atemnot, Schmerzen im Oberbauch und Erbrechen. Da diese Beschwerden auch bei anderen harmloseren Erkrankungen auftreten können, sollte immer dann der Notarzt gerufen werden, wenn diese unspezifischen Beschwerden in zuvor noch nie erlebtem Ausmaß auftreten.

Herzinfarkte treffen Männer und Frauen gleichermaßen. Herz- Kreislauferkrankungen stellen bei beiden Geschlechtern die häufigste Todesursache dar, bei Frauen allerdings erst nach der Menopause. Vor ihren Wechseljahren haben sie einen natürlichen Schutz durch die körpereigenen Östrogene. Diese weiblichen Geschlechtshormone erweitern die Blutgefäße, senken den Blutdruck und regulieren den Cholesterinspiegel. Männern fehlt dieser natürliche Gefäßschutz.

Trotzdem überleben sie Herzinfarkte häufiger als Frauen. Warum? Männer denken fast immer gleich an Herzinfarkt. Frauen erst mal nicht. Und wenn sie noch jünger sind, sowieso nicht. Und wenn sie über 50 sind, werden die Symptome oft auf seelische Probleme während der Wechseljahre oder depressive Verstimmungen zurückgeführt. Früher hieß es immer, Männer sterben am Herzinfarkt, Frauen am Tumor. Fragt man heute Frauen: Wovor haben Sie Angst zu sterben? Sagen die meisten immer noch: an Brustkrebs. Ein fataler Irrglaube.

Reagieren Frauen tatsächlich anders auf Herzattacken? "Bei Frauen sind die mit dem Herzinfarkt einhergehenden Vorboten und Symptome oft - aber nicht immer - diffuser als bei Männern. So geben Frauen häufiger als Männer Atemnot, Schlafstörungen und Erschöpfungszustände an, die schon ein paar Wochen vor dem Infarkt auftreten können. Die Schmerzen während des Infarkts sind bei Frauen nicht selten eher untypisch."

Generell gilt: Je größer der Infarkt ist, umso schwerer sind in der Regel die auftretenden Symptome. Jede Minute zählt! Deshalb wird Dr. Molling nicht müde zu empfehlen: "Wählen Sie die 112! Und äußern Sie im Telefonat den Verdacht auf Herzinfarkt. Eile ist geboten, weil durch frühzeitige therapeutische Maßnahmen oft das Leben gerettet werden kann und auch schwerwiegende Folgewirkungen durch ein sehr stark geschädigtes Herz verhindert werden können."

Bis zum Eintreffen des Notarztes sollten Hilfeleistende den Betroffenen beruhigen. Damit er besser atmen kann, sollte der Oberkörper hoch gelagert und enge Kleidung wie etwa Kragen oder Krawatte geöffnet werden. Im Falle eines Kreislauf-Stillstands, also wenn der Patient bewusstlos ist, muss sofort mit einer Herzdruckmassage und der Mund-zu-Mund-Beatmung begonnen werden.

"Wenn der Notarzt dann im Rettungswagen ein EKG macht und sieht, der Patient hat tatsächlich einen akuten Herzinfarkt, wird er soweit vorbereitet, dass er ohne Verzögerung, also ohne die Notaufnahme zu passieren, sofort ins Herzkatheterlabor kommt", so Dr. Molling. Der Chefarzt leitet die Kardiologie in der Klinik für Innere Medizin der Pfeifferschen Stiftungen, die nach modernsten Gesichtspunkten ausgestattet ist und ein großes Leistungsspektrum in der Diagnostik und Behandlung von Herz- und Kreislauferkrankungen bietet. 2013 wurden dort zwei neue Herzkatheterlabore in Betrieb genommen. Da nun an zwei Kathetermessplätzen parallel gearbeitet werden kann, besteht auch bei länger dauernden Untersuchungen und Eingriffen jederzeit die Möglichkeit, Patienten mit akuten Herzinfarkten ganz zeitnah nach Eintreffen in der Klinik zu untersuchen und zu behandeln.

Apropos 112. Wie lange sollte man bei unspezifischen Beschwerden und Verdacht auf Herzinfarkt warten, bevor man den Notarzt ruft? "Gar nicht. Eine solche Vermutung besteht immer, wenn eine Person in mittlerem bis hohem Erwachsenenalter plötzlich starke Schmerzen im Brustbereich verspürt, zusammenbricht oder sonstige Zeichen eines Kreislaufkollapses zeigt", sagt Dr. Molling.

Und was passiert, wenn man den Rettungsdienst alarmiert, sich später aber der Verdacht auf einen Herzinfarkt nicht bestätigt? "Wer aufgrund von Anzeichen auf eine akute schwere Gesundheitsstörung bei einem Mitmenschen den Rettungsdienst alarmiert, hat auch im Falle, dass sich der Verdacht nicht bestätigt, mit keinerlei negativen Konsequenzen zu rechnen. Dies ist auch kein Grund, das nächste Mal damit abzuwarten - lieber einmal zu viel als einmal zu wenig Alarm schlagen."